Schmerzende Wahrheit, dringlicher Auftrag: Stark auf Woche der Brüderlichkeit gegen Judenfeindschaft
Es sei ein lautes und beschämendes Alarmsignal für die Gesellschaft, wenn Jüdinnen und Juden sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlten, sagte Landtagspräsidentin Britta Stark zur Eröffnung der 20. Brandenburger Woche der Brüderlichkeit in Potsdam. Mit dem Motto „Mensch, wo bist Du? Gemeinsam gegen Judenfeindschaft“ stellen die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in diesem Jahr Menschen in den Mittelpunkt ihres interreligiösen Dialogs, die verbalen Attacken und handgreiflicher Gewalt auf jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger entgegentreten.
„Als in den 1990er Jahren wieder Juden nach Brandenburg kamen und jüdisches Leben zurückkehrte, zeugte das von großem Vertrauen in uns Deutsche, dass wir unsere Verantwortung für das ‚Nie wieder‘ ernst nehmen“, so Britta Stark am Montagabend auf der Festveranstaltung, die der Landtag gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausrichtete. „Es ist eine schmerzliche Wahrheit und bittere Einsicht, dass auch die Erinnerung an die Schrecken des Holocaust und die millionenfachen Morde an Juden nicht selbstverständlich dazu geführt haben, dass Judenfeindschaft überall im Land geächtet ist. Sich gegen Antisemitismus in jeder Situation zu stemmen, gleich von welcher Seite dieser kommt, ist ein dringlicher Auftrag für unsere Demokratie und für jeden einzelnen Menschen von uns.“
Zu den rund 100 Gästen aus Politik und Gesellschaft sowie den christlichen Kirchen und der Jüdischen Gemeinde, die ins Potsdam-Museum am Alten Markt gekommen waren, sprach auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Potsdam, Tobias Barniske. Antisemitismus äußere sich nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen, im vertrauten Zirkel des Stammtisches oder anonymisiert, sondern in der Öffentlichkeit, mit Klarnamen in Facebook oder dem Leserbrief, mit Pöbeleien und Angriffen auf offener Straße. „Es reicht aber nicht, sich nur gegen Antisemitismus einzusetzen. Wenn wir es zulassen, dass gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausgespielt und die Lehren aus der Aufarbeitung unserer Geschichte mit Fäkalbegriffen versehen oder als Schande diskreditiert werden, dann können wir uns über eine Zunahme fremdenfeindlicher und antisemitischer Vorfälle nicht wundern. Wir müssen die Grundwerte unserer Demokratie aktiv verteidigen, ihre Inhalte und Geschichte vermitteln, damit leisten wir einen ersten Beitrag gegen Judenfeindschaft“, so Tobias Barniske.
Prof. Gideon Botsch, Leiter der Emil Josef Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in
Potsdam, zeigte in seinem Festvortrag auf, dass Judenfeindschaft viel mit Projektion zu tun habe. Judenfeindschaft operiere mit stereotypen Zuschreibungen, die sich zu Ressentiments verfestigen. Ohne den christlichen Antijudaismus sei der moderne Antisemitismus nicht denkbar. Botsch betonte zwar, dass Antisemitismus auch in muslimischen Ländern weit verbreitet sei. Man müsse aber auch hier Zuschreibungen vermeiden und nicht ein Bild von Zuwanderern aus diesem Kulturkreis malen, die nur darauf warten würden, Juden anzugreifen. Wichtig sei eine Stärkung der jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus. Dem diene unter anderem eine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Brandenburg (RIAS), die derzeit am Moses Mendelssohn Zentrum aufgebaut werde.
Beispielhaft für viele Aktionen zum interreligiösen Dialog und für Verständigung stellten Pfarrer Bernhard Fricke die Flüchtlings- und interreligiöse Arbeit des Evangelischen Kirchenkreises Potsdam sowie Kevin Manhardt vom Basskontakt e. V. das Projekt “Bass gegen Rassismus“ vor.
Die bundesweit 1952 ins Leben gerufene, jährlich veranstaltete Woche der Brüderlichkeit findet 2019 vom 10. bis 17. März und zum 20. Mal in Brandenburg statt. Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit werben damit für die Verständigung zwischen Christinnen und Christen verschiedener Bekenntnisse sowie Jüdinnen und Juden unterschiedlicher Traditionen.